Tiere für Fortgeschrittene : Roman

Menasse, Eva, 2017
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Medienart Buch
ISBN 978-3-462-04791-2
Verfasser Menasse, Eva Wikipedia
Systematik DR - Romane,Erzählungen, Prosa
Schlagworte Erzählungen, Raupe, Schlange, Igel, Schafe, Oppossum
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Ort Köln
Jahr 2017
Umfang 316 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Eva Menasse
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Michael Wildauer;
Ausgezeichnete Erzählungen zur Bedrohung des Alltags. (DR)
Eva Menasse geht den Weg weiter, den sie mit "Quasikristalle" begonnen hat. Statt eines Romans schreibt sie Erzählungen, die miteinander verbunden sind. Diesmal sind jeder Geschichte kurze Meldungen über Tiere vorangestellt, die die LeserInnen sofort zum Nachdenken animieren: Worum wird es gehen, was ist diesmal das Problem? Am Ende fühlt man sich bestätigt oder auch nicht, aber das ist eigentlich nicht wichtig. Entscheidender ist, dass man sowieso nie ahnen kann, was als nächstes kommt, denn Menasse kriecht chamäleongleich in ihre unterschiedlichen Figuren, zeigt unglaubliches Einfühlungsvermögen in ihre männlichen wie weiblichen Protagonisten jeglichen Alters. Man erlebt Alltagssituationen mit, bis in Nebensätzen Bedrohliches auftaucht. Die Fragilität unserer Komfortzone wird dargestellt, dass man Gänsehaut bekommt. Wie wenig benötigt es doch, um unsere anscheinend sichere Welt ins Chaos zu stürzen.
Der Band enthält acht Erzählungen, die man sorgfältig und genau lesen sollte, denn sonst entgeht einem die Tiefe und Qualität des Textes und übrig bleibt ein langweilig-beliebiges Alltagsblabla. Die LeserInnen sind also gefordert, werden aber belohnt. Menasse arbeitet mit Suspense und gelebter Psychologie. Außerdem mit einer wunderbar genauen Sprache, einige Sätze könnte man als Aphorismen zitieren. Die Juryentscheidung, ihr den Österreichischen Buchpreis 2017 dafür zu verleihen, ist nachvollziehbar. Das Buch gehört in jede Bibliothek mit Qualitätsanspruch.

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Rainer Moritz;
Versionen des Lebens
Eva Menasses Erzählungen »Tiere für Fortgeschrittene«
Eva Menasse gehört zu jenen Autoren, die sich nicht nur im Roman (Vienna, Quasikristalle) zu Hause fühlen, sondern zu bester Form auflaufen, wenn sie sich in der viel zu selten bewirtschafteten Form der längeren Erzählung in der Tradition von Alice Munro, Jane Gardam oder William Trevor etwa versuchen. Lässliche Todsünden hieß 2007 eine solche Sammlung Menasses, und mit Tiere für Fortgeschrittene, ausgezeichnet mit dem Österreichischen Buchpreis 2017, knüpft sie daran auf beeindruckende Weise an.
Ausgangspunkt der acht Erzählungen sind jeweils Zeitungsnotizen aus der Rubrik »Vermischtes« bzw. »Aus aller Welt«, die Absonderliches aus dem Tierreich vermelden. Da treffen wir auf Igel, die ihre Schnauzen zu tief in Eisbecher stecken, auf Raupen, die sich ihr eigenes Grab schaufeln, oder auf Haarschafe, die praktischerweise ihre Wolle von selbst verlieren. Ausgehend von diesen meist kuriosen Meldungen, die oft nur in lockerem Bezug zu den Erzählungen selbst stehen, macht sich Eva Menasse daran, menschliche Milieus zu erkunden und so ein Panorama unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu entwerfen. Was damit beabsichtigt ist, erhellt sich bereits aus einem dem Band vorangestellten Motto, das aus dem Audioguide des National History Museum in London stammt: »Um eine Spezies zu verstehen, braucht man mehrere Exemplare. Eines reicht nicht aus.«
So erkundet Eva Menasse eine Vielzahl von »Exemplaren«, sondiert ihr (Großstadt-)Terrain, das vorwiegend von Mittelstandsfamilien bevölkert ist. Deren Stabilität hat sich im Lauf der letzten Jahrzehnte erheblich verändert: Trennungen und Scheidungen stehen an der Tagesordnung, und die handelnden Akteure haben alle Hände voll damit zu tun, ihre Wunden zu lecken und mit den neuen Patchworkkonstellationen zurechtzukommen.
Eva Menasses französische Kollegin Leïla Slimani hat das in ihrem Roman Dann schlaf auch du auf eine klare Formel gebracht: »Das Leben ist zu einer Abfolge von Aufgaben geworden, die man einhalten, und Verabredungen, die man wahrnehmen muss.« Dieses Hamsterrad, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint, kennen Menasses Figuren sehr gut. Schon in der Auftakterzählung Schmetterling, Biene, Krokodil entlädt sich die Überforderung, als das Ehepaar Tom (ein Frauenname hier) und Georg erkennen muss, dass ihre Patchworkfamilie keineswegs so vorbildlich funktioniert, wie man es sich einreden möchte. Schweren Herzens hat man sich einzugestehen, dass die emotionale Nähe zu den eigenen und zu den angeheirateten Kindern keineswegs gleich stark ist, und es braucht kaum einen Anlass, um das Gefüge durcheinanderzuwirbeln: Als einer ihrer (selten gesehenen) Freunde stirbt, wundert sich Tom, warum ihr diese Nachricht so nahe geht, warum sie mit einem Mal ihr ganzes Leben in Frage stellt. Dass es in erster Linie gar nicht um den Toten geht, enthüllt die Erzählung Schritt für Schritt.
Fragil sind fast alle Figuren Eva Menasses. Sie haben Verluste erlitten, sind verunsichert und lassen sich leicht verunsichern, wie Konrad (in Raupen), der seine alte, demente Frau pflegt und meint, sie vor allem und jedem schützen
zu müssen bis ihr halbseidener Enkel auftaucht und seine scheinbar hilflose Großmutter zum Entsetzen Konrads dazu anspornt, sich wieder in der Küche zu betätigen und Leitern zu erklimmen, um Gardinen aufzuhängen. So stellen die Erzählungen Festgefügtes in Frage und nehmen mitunter eine überraschende oder magische Wende wie in Opossum, als ein Mann, der vergessen hat, einen Blick auf den Benzinanzeiger seines Autos zu werfen, gezwungen ist, in einem abgelegenen, dubiosen Gasthaus um Hilfe zu bitten. Alfred Hitchcocks Psycho lässt grüßen.
Ganz in ihrem Metier ist Eva Menasse in einer Geschichte wie Haie, die von wohlstandsgesättigten Eltern handelt, die im »Paradies« leben, »nicht einmal dankbar« dafür sind, beim Rotwein darüber lamentieren, dass es auch in ihren Kreisen »immer rechter« zugeht und vom eigenen Nachwuchs völlig beansprucht sind: »Kaum hat man Kinder, scheint das ganze Leben aus Zwickmühlen zu bestehen.« Wenn dann zudem der Sohn eines einflussreichen, aus fremden Ländern stammenden Mister Malam das Schulleben der Zöglinge aufmischt, sind Eva Menasses vermeintlich so aufgeklärte Eltern stark damit beschäftigt, ihre Urteile und Vorurteile auseinanderzudividieren. Hier brilliert Eva Menasse mit ihrem scharfen Witz, der in die Abgründe bürgerlicher Saturiertheit eintaucht.
Auf dünnem Eis bewegen sich diese Figuren, und das hat nicht nur mit den Herausforderungen ihres anstrengenden Alltags zu tun. Es greift in einigen dieser Texte eine viel tief sitzendere Unsicherheit um sich; Depression oder Demenz sind gar nicht notwendig, um am eigenen Leben zu zweifeln. Die Bilder, die man sich davon gemacht hat, die Erinnerungen, die Zuverlässigkeit versprachen all das hilft nicht weiter; eine existenzielle Unsicherheit breitet sich aus: »Aber in letzter Zeit scheint ihr manchmal, dass vieles im Leben ganz anders gewesen sein könnte. Dass sie von manchem die falsche Version abgespeichert hat.«
Was sind die richtigen und die falschen Versionen unseres Lebens? Eva Menasses souveräne Erzählungen sind Versuchsanordnungen, die menschliches Verhalten in prekären Situationen auf die Probe stellen, und was einst Sicherheit versprach, ist oft nur eine trügerische Konstruktion.

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