Nordlicht : Roman

Breznik, Melitta, 2009
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Medienart Buch
ISBN 978-3-630-87287-2
Verfasser Breznik, Melitta Wikipedia
Systematik DR - Romane,Erzählungen, Prosa
Schlagworte Familiengeschichte, Ärzte, Freundschaft, Ehe, Überforderung, Lebenslauf, Ehepaar, Ehebruch, Frau, 2. Weltkrieg, Flucht, Geheimnis, Breznik, Vergangenheit, Lofoten, Besatzungskind, Herkunft, Ehekrise, Überlastung, Norwegen, Nordlicht, Deutschenbalg, Rollenbild
Verlag Luchterhand
Ort München
Jahr 2009
Umfang 251 S.
Altersbeschränkung keine
Auflage 2
Sprache deutsch
Verfasserangabe Melitta Breznik
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Silvia Westreicher;
Spielt denn der Zweite Weltkrieg im Leben zweier moderner Frauen noch eine Rolle? (DR)

"Nordlicht" heißt der erste Roman der gebürtigen Österreicherin Melitta Breznik. Dieser Titel verweist uns auf den Ort der Handlung, nach Nordnorwegen, auf die Lofoten. Die Wikinger sahen im Nordlicht ein Zeichen, dass irgendwo auf der Welt eine große Schlacht geschlagen worden war. Auch diese Konnotation passt. Wir sind also in Nordnorwegen zur Zeit der Winternacht. Vollständig dunkel wird es nicht in der Dunkelzeit, in diesen Wochen im Dezember und Jänner, eher dämmrig. Und diese Dämmerung entspricht dem Gefühlszustand der beiden Hauptfiguren, der österreichischen Mitvierzigerin Anna und der sechzigjährigen Norwegerin Giske. Doch was haben diese beiden Frauen mit einem Weltkrieg zu tun, der vor fast zwei Generationen stattfand? Es ist die Vätergeneration, die sie verbindet. Während die Eine rückblickend den zärtlichen Vater in einem stummen, lieblosen Mann sucht, ist die Andere als "Besatzungsbalg" gebrandmarkt. Dieser Krieg prägt auch die nachfolgenden Generationen noch! Ganz am Ende kommt der alte Nachbar Mortensen ins Spiel. Nachdem er im letzten Winter fast gestorben wäre, beginnt er zu reden, bevor es zu spät ist. Der Alte knüpft Kontakt zu Giske und Anna, will von früher erzählen. Er hat Giskes Vater gekannt, war sogar mit ihm befreundet. Und auch Annas Suche führt zu einem befriedigenden Ende.
Bemerkenswert an dem Text ist der sichere Sprachduktus. Er ist trotz einer gewissen Kargheit und Spröde angenehm zu lesen, ruhig und langsam gleitet der Leser dem Erzählfluss gemäß dahin. Die Form des Romans hingegen ist der Autorin noch nicht so geläufig. Manches wird angedeutet und bleibt dann offen, manchmal ist der Handlungsverlauf vorhersehbar, an der Grenze zum Klischee. Dennoch ein Buch, das man gerne auch ein zweites Mal liest. Allen Beständen zu empfehlen!

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Klaus Zeyringer;
Graz - Zürich - Lofoten und eine Art Retour
Melitta Breznik erzählt eindrucksvoll von zwei Frauen im Nordlicht
In den Kriegstagebüchern des verstorbenen Vaters finden sich Skizzen von den Lofoten, in Wort und Zeichnung. Über das Titelwort "Nordlicht" notiert er, der Soldat aus der Steiermark, es erscheine "flüchtig und zart und unnahbar, so verrückt tanzend wie ein geräuschloses jenseitiges Feuerwerk, das einen immer an die Unendlichkeit und den Weltuntergang erinnere" - einer jener wunderbaren Breznik-Sätze mit treffendem Tiefgang. Fein konzentriert klingt hier eine Befindlichkeit an, die im Romangeschehen zwei Frauen zu schaffen macht und zugleich antreibt. Beiden, der Mitteleuropäerin und der Skandinavierin, hängt die eigene Positionsbestimmung - aus unterschiedlichen Gründen stehen beide in einem "Draußen" und einer Art Zwielicht - mit einem diffusen Vaterbild zusammen. Bis ihnen gemeinsam ein altes Foto Züge ihrer Vorvergangenheit zeigt.
Auf der Suche nach Herkunft und Familiengeschichte, also nach den Hintergründen des Selbst, gelangt schon in Melitta Brezniks prägnanter, beeindruckender Erzählung "Das Umstellformat" (2002) eine Psychiatrieärztin nach Norwegen und stößt dort auf die Spuren der deutschen Besatzung, die die einheimische Bevölkerung noch im nachhinein entzweite. Die Thematik führt nun der Roman "Nordlicht" weiter, wieder in überzeugender literarischer Form und in knappem, stimmigem Ausdruck. Melitta Breznik, die aus der Steiermark stammt und in der Schweiz als Ärztin lebt, schafft kunstvolle narrative sowie menschliche Beziehungsbögen, weitreichende Einblicke in die Lebensproblematik von zwei Frauen, die Familiengeheimnissen nachgehen und viel über Zugehörigkeit und Ausschluß erfahren müssen.
Am Beginn steht eine Frau am 8. Mai 2003 erschöpft in Zürich. Sie sieht in ihrer Arbeit als Psychiatrieärztin wenig Sinn, befürchtet schizophren zu werden: "wie ihre Großmutter", heißt es kurz in einem Nebensatz, der auf die Geschichte in "Das Umstellformat" verweisen kann. Hirngespinste suchen sie heim, das Bekannte kommt ihr fremd vor. Mit ihrem Mann empfindet sie einen deutlichen Bruch, die Erinnerungen an ihren gemeinsamen Anfang in Graz zeigen ihr, daß er sie in seine Welt gezogen habe. Und nun hat sie, datiert mit "Zürich, 5. Juni 2003" das Gefühl, "sie wären durch eine dicke, milchig getrübte Glaswand getrennt". Einleuchtende Bilder in einer bestechenden Konstruktion.
Der in der Vergangenheit gehaltenen Sie-Erzählung der Zürich-Episoden folgt nach einem Sprung über ein halbes Jahr, jeweils genau in Ort und Zeit fixiert, als Ich-Erzählung im Präsens die Ich-Suche jener Anna, die ein Jahr in Nordnorwegen auf den Lofoten verbringen will, mit Vaters vier Tagebüchern aus dem Weltkrieg im Gepäck. Der Rückzug ins Selbst, ein abgelegenes Haus auf einer Insel, wird von Polaroidphotos der Umgebung begleitet, mit ebenfalls datierten Rückblicken auf die Zeiten in Graz und in Zürich unterlegt. Diese Anordnung ermöglicht Brüche wie wechselseitige Beleuchtung - die Lichtverhältnisse sind ein Leitmotiv -, so können sich die Bilder auch vermischen und zugleich auf die Erzählperspektiven verweisen. In der Mitte von "Nordlicht" reflektiert Anna: "ich kann meine Erinnerungen im Moment nur von außen betrachten, als wäre ich eine dritte Person, kein Ich, kein Du, eine Sie, die völlig losgelöst von mir mitten im Bild steht".
Die Sonne verschwindet für ein paar Wochen, Anna streicht durch die karge Landschaft und durch die Dämmerung ihrer Psyche. Zwar setzt Melitta Breznik bisweilen romantische Motive wie jenes des wechselnden Mondlichtes (bei Novalis im Heinrich von Ofterdingen als Ankündigung des Übergangs in die Traumwelt), jedoch keineswegs als Klischee eines "Into the wild", sondern als Zeichnung einer Umgebung ohne Melancholie. "Meine innere Welt scheint mir immer karger zu werden", bemerkt Anna und fügt hinzu, daß ihr beim Kinderlied vom "König in Thule" früher melancholisch zumute gewesen sei; "heute empfinde ich nichts, wenn ich zu singen beginne". Sie lotet, wie sie sagt, "das Alleinsein in seinen Tiefen" aus, wird alsdann von der Wehmut der Abgeschiedenheit und den Träumen vom Aussteigen heimgesucht. Als die Sonne wieder über den Horizont steigt und die Welt wieder weiter erscheinen läßt, ermöglicht dies zum einen Anna, "erleichtert über mich selbst zu lachen", und zum anderen den Auftritt eines weiblichen Du, von Giske Norman, die ebenfalls von ihrem Mann getrennt allein auf den Lofoten lebt. Diese Norwegerin, die Tochter eines ihr unbekannten Besatzungssoldaten, war der Mutter weggenommen worden. Ihre Geschichte verbindet Melitta Breznik im zweiten Teil von "Nordlicht" mit jener von Anna, mit der Giske sich anfreundet: ebenso als Ich-Erzählung der Gegenwart und als Sie-Erzählung der Vergangenheit der Jahre 1955 bis 1958, die den Personennamen nicht nennt, sondern "das Mädchen" schildert, wie es als "Deutschenbalg" von einem Pastorziehvater, im Kinderheim und in der Psychiatrie gequält wurde. Bis in die norwegischen Familien hinein reichte die Entzweiung, als die einen als Kollaborateure ihrem Führer Quisling folgten, die anderen gegen die Deutschen kämpften, wofür man ihren Angehörigen die Häuser abbrannte, und als dann nach Kriegsende die Kinder von Besatzern zur minderwertigen Brut erklärt wurden (die Sieger redeten kaum weniger rassistisch als die Besiegten). In beiden Fällen, in beiden Familien - sowohl bei Anna als auch bei Giske - spielt das Verschweigen von Vergangenem eine wesentliche Rolle. Un 158d d entsprechend läßt Breznik vieles ungesagt, dafür Andeutungen und bezeichnende Bilder sprechen. Die Frage, ob und wie Anna und Giske ihr Leben neu anfangen und derart "Zukunft haben", findet schließlich eine schöne Antwort, nachdem sie ein wenig Licht in die Vergangenheit bringen konnten.
In diesem zweiten Teil des Romans schafft Melitta Breznik sowohl eine Steigerung der Spannung, indem sie Anna aus ihrer Abgeschiedenheit, aus ihrem In-Sich-Kreisen rausführt und die Suche nach den Vätern (oder war es gar ein und derselbe?) intensiviert, als auch eine Verstärkung der Verbindungsbögen. Die parallel geführten Perspektiven der beiden Frauen vermögen in Übergängen kurzfristig eine Vermischung vorzugeben: In einigen Lofoten-Kapiteln ist nicht gleich klar, welches Ich erzählt. Zudem ist die Episode des Kennenlernens nun auch im Rückblick von Giskes Standpunkt aus geschildert. Daß dabei ein einziger gleicher Ausdruck - "vor Beginn der Dunkelzeit" - und alsbald danach das Thema der Vatersuche in einem Abstand von fünfzig Romanseiten in beiden Strängen stehen und sie so aufeinander beziehen, zeugt von Brezniks erzählerischer Präzision.
In dieser genauen Schreibweise fallen ein paar weniger sorgfältige Sätze umso eher auf, dort eine widersprüchliche Verwendung des Tempus (S. 45, 90), da eine grammatikalische Unebenheit (S. 68, 75) oder ein unnötiges "sozusagen" (S. 35), mehrmals das norddeutsche "laufen" für "gehen". Allerdings sind dies läßliche Kleinigkeiten, die wie die Druckfehler nicht gerade für ein adäquates Lektorat sprechen - in einem gelungenen literarischen Werk, mit dem Melitta Breznik sich einmal mehr als großartige, eindringliche Erzählerin verdeckter Vergangenheiten, psychischer Nöte, vielfältiger Umwelten und der schwierigen Suche nach Platz und Rolle im Leben erweist.

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Quelle: Pool Feuilleton;
Autor: Astrid Graf-Wintersberger;
"Bist du völlig verrückt geworden?", fragt ihr Mann, als Anna eines Tages das quälende Eheritual durchbricht und aus dem Haus läuft. Der Satz schmerzt, denn sie weiß es selbst nicht, vieles erscheint ihr seltsam in letzter Zeit: Ist es die Überlastung durch den aufreibenden Alltag als Ärztin in der Klinik oder ist sie tatsächlich drauf und dran, den Verstand zu verlieren? Eine radikale Ortsveränderung, eine neuer Lebensrhythmus sollen Klarheit bringen: Sie verlässt Zürich und macht sich auf zu den Lofoten-Inseln in Norwegen, wo ihr Vater als Wehrmachtssoldat stationiert war. Dort schließt sie Freundschaft mit Giske, die auch allein zurechtkommen muss, weil ihr Mann die dunkle Jahreszeit nicht mehr ertragen konnte. Als Tochter eines deutschen Besatzungssoldaten und einer Norwegerin wurde sie als "Deutschenbalg" geächtet, kam ins Kinderheim und lernte ihre Mutter erst kurz vor deren Tod kennen. Gemeinsam begeben sich die beiden Frauen auf Spurensuche, versuchen kindliche Kränkungen und dunkle Punkte in den Familiengeschichten auszuleuchten.

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